In diesem Artikel befasse ich mich mit Formulierungen rund um die Atemtechnik, welche zwar gebräuchlich aber nicht korrekt sind.
Diesen Artikel schreibe ich, weil ich an mir selber und an Schülern und Schülerinnen immer wieder erfahren habe, wie hinderlich es für den Lernfortschritt sein kann, wenn sprachliche Formulierungen im Unterricht zu Missverständnissen führen.
Bevor es zum eigentlichen Blog geht, möchte ich Frau Doktor Salomé Zwicky (Spezialärztin für Ohren-, Nasen- und Halskrankheiten speziell Phoniatrie, sowie der Sängerin Julia Schiwowa vom SingStimmZentrum in Zürich herzlich danken. Sie waren beide bereit, meinen Blog durchzulesen. Dank ihren wertvollen Rückmeldungen konnte ich noch einmal wichtige Fragen klären. Das SingStimmZentrum bietet interessante Weiterbildungen an: SingStimmZentrum Zürich
11 häufig geäusserte Formulierungen im Gesangsunterricht, welche ich genauer unter die Lupe nehme
- 1. Atme in den Bauch!
- 2. Atme mit dem Zwerchfell!
- 3. Du musst mit dem Zwerchfell stützen!
- 4. Die Lungen füllen sich mit Luft, wie wenn wir ein Glas mit Wasser befüllen. Von unten nach oben.
- 5. Die Luft drückt das Zwerchfell nach unten.
- 6. Für Singen von besonderer Wichtigkeit ist das Trainieren der Rückenmuskulatur.
- 7. Für Singen von besonderer Wichtigkeit ist das trainieren der Beckenbodenmuskulatur
- 8. Wenn wir die Pobacken zusammenziehen, unterstützen wir die Atmung.
- 9. Die einzig richtige Atemtechnik ist die Bauchatmung.
- 10. Wer mit Luft in der Stimme singt, muss seine Atemtechnik verbessern!
- 11. Sänger und Sängerinnen popularer Gesangstechniken vernachlässigen die Atemtechnik oder anders herum: Klassiker pochen unnötigerweise auf der Atemtechnik herum.
- Schlusswort
- So funktioniert die Atmung
1. Atme in den Bauch!
Ich ertappe mich manchmal selber, bei der Verwendung dieser fest in der Gesangspädagogik verankerten Formulierung. Wer sich ein bisschen mit Gesangstechnik auseinander setzt, wird wissen: Wir atmen in die Lungen und nicht in den Bauch! Wenn man die Hand dorthin führt, wo man am besten fühlt wie sich der Bauch während der Ein- und Ausatmung hebt und senkt, also ungefähr beim Bauchnabel, dann befindet sich hinter der Bauchdecke nicht eine Ansammlung von Atemluft, sondern der Dünndarm. Die Lungen, welche sich mit Luft füllen, sind weiter oben. Trotzdem hat die Verwendung dieser Formulierung auch ihre Berechtigung, da wir ja bei dieser Anweisung möchten, dass sich die Bauchdecke während der Einatmung hebt. Es fühlt sich an, als würden wir in den Bauch atmen. Wichtig ist also, dass wir uns bewusst sind, dass diese Formulierung ein Bild und ein Hilfsmittel ist, mit dem wir beabsichtigen, ein bestimmtes Resultat zu erzielen.
2. Atme mit dem Zwerchfell!
Das Zwerchfell ist ein Muskel, der dafür verantwortlich ist, dass Luft in die Lungen kommt. Nicht, dass sie wieder hinausgeht!
Können wir das Zwerchfell überhaupt willentlich kontrollieren? Die Antwort lautet ja und nein. «Das Zwerchfell unterliegt einer unwillkürlichen, autonomen Kontrolle, wie einer willkürlichen somatischen Steuerung» (Flexikon).
«Wenn wir nicht ans Atmen denken, arbeitet das autonome Nervensystem und die Atmung funktioniert von alleine. Wenn wir aber wollen, können wir den Atem anhalten oder ein- und ausatmen, so wie es uns beliebt. Diese Bewegungen werden über das somatische Nervensystem gesteuert und sind willkürlich durchführbar» (Zwicky).
Die Anweisung: «Atme mit dem Zwerchfell» ist insofern problematisch, als dass uns das Zwerchfell nicht rückmelden kann, ob wir es nun aktiviert haben oder nicht, da es dafür zu wenig Druck- und Dehnungsrezeptoren besitzt. Rückmeldungen geschehen über die Bewegungen des Bauch- und Brustraums. (Hein, 2010).
Wir helfen unseren Schülerinnen und Schülern also, wenn wir sie dazu anweisen, willentlich anzusteuern, was sie auch wirklich kontrollieren können. In diesem Fall ist das die Erweiterung oder Verkleinerung des Brustkorbes. Diese Aktion hat wiederum einen direkten Einfluss auf das Zwerchfell, da das Zwerchfell am Inneren des Brustkorbes angemacht ist. Die Zwischenrippenmuskulatur hilft den Brustkorb zu erweitern. Mit der Erweiterung des Brustkorbes wird das Zwerchfell gedehnt, was wiederum zur Folge hat, dass die Mitte des Zwerchfells nach unten gezogen wird. Somit können wir also eine indirekte Kontrolle über das Zwerchfell erlernen.
3. Du musst mit dem Zwerchfell stützen!
Schwierig an dieser Formulierung ist, dass oft unklar ist, was man denn genau mit «stützen» meint. Was soll sich ein Schüler oder eine Schülerin unter «stützen» vorstellen? Sagt die Lehrkraft «bitte mehr stützen», weil mit zu viel Luft gesungen wurde? Oder weil die Tongebung gepresst ist? Welches Problem wollen wir damit lösen? Können wir als Gesangslehrer und -lehrerinnen erklären, was wir mit «stützen» meinen? Ausserdem suggeriert der Begriff einen Kraftakt.
Frau Dr. Salomé Zwicky hat in einfachen Worten erklärt, was mit Stütze gemeint ist:
«Bei der Einatmung wird das Zwerchfell kontrahiert und auch die entsprechende Zwischenrippenmuskulatur zieht sich zusammen. All diese Muskelaktivität, die man nun hat, soll man nicht einfach loslassen, weil das zu einer unkontrollierten, schnellen Ausatmung führt. Die Stütze ist dann eigentlich das Verhindern einer zu schnellen Ausatmung.»
In der Literatur habe ich ganz ähnliche Formulierungen gefunden:
«Als Stütze bezeichnet man den Halt, den die Einatmungsmuskulatur dem Zusammensinken des Brustkorbes entgegensetzt (Wirth, 1995).»
«Stütze ist der Halt, den die Einatmungsmuskulatur dem Zusammensinken des Atembehälters entgegensetzt, d. h., während der tönenden Ausatmung beim Sprechen und Singen bleibt in Rücken und Flanken eine Einatmungstendenz erhalten. Diese Stütze dient dazu, den zum Stimmklang nötigen Atemdruck auf den kritischen Druck zu reduzieren (optimaler Betriebsdruck). Fehlt dieses Gleichgewicht zwischen Atemdruck und Stimmbandschluss, verarmt das Obertonspektrum der Stimme (aus Bergen, o. J.).»
Angemessener als von «stützen» zu sprechen, wäre es, den Schüler oder die Schülerin erspüren zu lassen, wie sich der Brustraum während der Einatmung weitet mit der darauffolgenden Anweisung, dieses Gefühl während der Ausatmung aufrecht zu erhalten.
4. Die Lungen füllen sich mit Luft, wie wenn wir ein Glas mit Wasser befüllen. Von unten nach oben.
Man kann sich vorstellen, wie man einen Luftballon aufbläst. Füllt sich der Luftballon von unten nach oben mit Luft? Nein. Die Luftmoleküle strömen von oben her in den ganzen Ballon und verteilen sich schliesslich gleichmässig. Genauso ist das auch mit der Luft in den Lungen. Es handelt sich also wiederum um ein Bild, mit dem man wahrscheinlich die kostoabdominale Atmung erreichen möchte, bei der man die Auswärtsbewegung des Bauches und schliesslich das Dehnen der unteren Rippen (Flanken) erspüren soll.
5. Die Luft drückt das Zwerchfell nach unten.
Es funktioniert anders herum. Der Brustraum dehnt sich bei der Einatmung in alle drei Dimensionen aus. Dadurch entsteht ein Unterdruck in den Lungen. Weil die Stimmbänder während dem Atmen offen sind, findet sofort ein «Druckausgleich» statt und Luft strömt in die Lungen. Wenn sich der Brustraum verkleinert, strömt die Luft wieder nach aussen. Wir bewegen unseren Körper, um die Luft zu bewegen! Um also gut zu atmen, ist alles was man tun muss, sich selber grösser zu machen.
6. Für Singen von besonderer Wichtigkeit ist das Trainieren der Rückenmuskulatur.
Bei der Rückenatmung spüren wir wahrscheinlich im unteren Bereich vor allem die Arbeit des «Quadratus Lumborum». Dieser Muskel gehört zur Atemhilfsmuskulatur und spielt bei der Atmung eine untergeordnete Rolle. Dr. Scott McCoy hat in seiner Vorlesung darauf hingewiesen, dass bei jüngeren Sängerinnen und Sängern die Muskulatur noch viel straffer ist. Viele junge Sängerinnen und Sänger spüren viel weniger Bewegung in der Rückenmuskulatur als ihre älteren Lehrerinnen und Lehrer.
Wenn wir also von jungen Sängerinnen und Sängern fordern sie sollen ihre Hände an den Rücken halten, um Bewegung in der Rückenmuskulatur zu erspüren, weil wir selber Bewegung im Rücken spüren, dann fordern wir etwas von ihnen, dass in dem Sinne für junge Sängerinnen und Sänger nur beschränkt oder gar nicht möglich ist.

7. Für das Singen von besonderer Wichtigkeit ist das trainieren der Beckenbodenmuskulatur
Dr. Scott McCoy:
«Es gibt anscheinend viele Frauen, welche den Beckenboden spüren, wenn sie einatmen. Es gibt nur sehr wenige Männer, welche beschreiben, dass sie etwas im Beckenboden spüren.»
Der Beckenboden ist die Muskulatur, welche uns unten zusammenhält. Sie zählt weder zur Atemmuskulatur noch zur Atemhilfsmuskulatur und hat dadurch auf die Atmung keinen Einfluss. Der Beckenboden spielt immer wieder eine Rolle bei Frauen, die Bücher schreiben über Gesangstechnik. In medizinischen oder logopädischen Büchern findet sich keinen einzigen Hinweis auf die Rolle des Beckenbodens für die Atmung.
Möglicherweise trägt die Aktivierung des Beckenbodens etwas zur allgemeinen Körperspannung bei?

8. Wenn wir die Pobacken zusammenziehen, unterstützen wir die Atmung.
Gemeint ist der «Gluteus maximus» (grosser Gesässmuskel) oder anders gesagt, unsere Po-Muskeln.
«Stelle dir vor du hättest ein Geldstück zwischen deinen Po backen, welches du halten musst.» Eine Anweisung, die auch ich schon im Gesangsunterricht bekam. Allerdings kann man die Pobacken so fest anspannen wie man will, man wird den Atemdruck damit nicht erhöhen. Der Muskel befindet sich dafür nämlich auf der falschen Seite des Körpers, als dass er Einfluss auf den Brustraum oder auf das Zwerchfell haben könnte.

9. Die einzig richtige Atemtechnik ist die Bauchatmung.
Hier habe ich zusammengefasst, welche Atemtypen man im Wesentlichen unterscheidet. Es gibt drei Atemtypen, mit denen Gesangslehrer und -lehrerinnen arbeiten, und die auch in der Literatur unterschieden werden. Als ungünstig für das Singen wird überall die Schlüsselbeinatmung erwähnt (Hochatmung).
Physiologisch | |
Bezeichnungen | Defininition |
Abdominalatmung Weitere Namen: -Bauchatmung -pear-shape-down (Titze) -Hypogastric (McCoy) | Die Einatmung erfolgt vor allem durch Kontraktion des Zwerchfells. (Wirth, 1995) |
Thorakalatmung Weitere Namen: -Brustatmung -Kostalatmung (Rippenatmung) -Pear-shape-up (Titze) -Epigastric (McCoy) | Bei dieser Atmung dominiert das Heben und Senken der Rippen mit Hilfe der Zwischenrippenmuskulatur Die Flankenatmung ist ein Teil der Brustatmung, wobei die Atemexkursionen (wahrnehmbaren Atembewegungen) aus dem unteren Rippenbereich dominieren. (Wirth, 1995) |
Kostalabdominalatmung Weitere Namen: -Bauch- Zwerchfell-Flankenatmung -Balanced breathing (McCoy) | Die Erweiterung des Brustkorbes und damit die Einatmung erfolgt hierbei in erster Linie durch Kontraktion und Tiefertreten des Zwerchfelles, in zweiter Linie durch aktives Heben der Rippen (Wirth, 1995) |
Unphysiologisch | Definition | Nachteil |
Clavicularatmung Weitere Namen: -Schulteratmung -Schlüsselbeinatmung Die Kombination aus Brust und Schulteratmung wird auch als Hochatmung bezeichnet | Ausgeprägte Rippenatmung, bei der der ganze Schultergürtel gehoben wird. | Dr. Scott McCoy: Bei der Hochatmung kommen wir schnell zu viel Luft. Es ist schwierig diese Luft mit den gleichen Muskeln wieder kontrolliert abzugeben. Das Resultat kann zu gepresstem oder zu luftigem Singen führen. |
Dr. Scott McCoy machte in seiner Vorlesung auf eine Studie aufmerksam (die er selber durchführte) bei der er feststellte, dass Frauen eher die «pear- shape-down» und Männer eher die «pear-shape-up» Methode bevorzugen würden. Titze und McCoy weisen darauf hin, dass man die Methoden nicht gegeneinander ausspielen kann und es wohl auch auf die physiologischen Voraussetzungen ankommt, welche Methode man bevorzugt.
Sehr interessant sind die Überlegungen von Seidner/Wendler 1997. Sie schreiben:
«Die abdominalen und thorakalen Atembewegungen sind fast nie isoliert, sondern meist kombiniert zu beobachten. Je nach Belastung tritt, reflektorisch oder willensmässig gesteuert, die eine oder andere Atembewegung stärker hervor.»
Im Weiteren schreiben sie «Für das Sprechen und Singen gilt die kombinierte Atmung (Kostoabdominalatmung) als funktionell richtig und erstrebenswert, weil sie in ökonomischer Weise optimale Atemvolumina bewegt und den Atemstrom an die Kehlkopffunktion anpassen kann.» Sie zitieren Nadoleczny, welcher schreibt, dass bei der kostoabdominalen Atmung manchmal die Tiefatmung und manchmal eher die kostale Atmung akzentuiert ist. Zudem fände man Sänger und Sängerinnen bei denen die abdominale Atmung bei aufsteigenden und die kostale Atmung bei ansteigenden Tonfolgen dominiere.
Auch Frau Dr. Salomé Zwicky wies darauf hin, dass die gemischte, also die kostoabdominale, Atmung die richtige sei, da sie die beste Luftfüllung ergebe. In der hiesigen Literatur in Medizin und Logopädie herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass die kostoabdominale Atmung die anzustrebende Atmung sei für das Sprechen und Singen.
«Die Zwerchfell-Flanken-Atmung ist offenbar die an Atemleistung wirkungsvollste, weil sie die größtmögliche und uneingeschränkte Erweiterung des unteren Brustkorbes mit der größtmöglichen Abplattung des Zwerchfells vereinigt. Sie liefert bei geringster Muskelarbeit den größtmöglichen Erfolg, weil das ganze Organ von der breiten Basis bis zu den feineren Verästelungen an den äußeren Wänden zur Arbeit herangezogen wird» (Bergauer/Janknecht 2011, Habermann, 1986).
«Bauch-Zwerchfell-Flankenatmung (kostoabdominale Atmung, Mischatmung). Die Erweiterung des Brustkorbes und damit die Einatmung erfolgt hierbei in erster Linie durch Kontraktion und Tiefertreten des Zwerchfelles, in zweiter Linie durch aktives Heben der Rippen. Die kombinierte kostoabdominaler Atmung gilt als physiologische Atmung.» (Wirth, 1995).
Ob nun bei der kostoabdominalen Atmung eher die abdominale oder die thorakale Bewegung dominiert, spielt vielleicht gar nicht so eine grosse Rolle und mag von Individuum zu Individuum verschieden sein. Wichtig ist, dass man mit der thorakalen Atmung die Bewegung der unteren Rippen meint und nicht die Hochatmung, bei der der Schultergürtel mit angehoben wird. Somit komme ich zum gleichen Schluss wie Seidel/Wender (1997): «Bei dieser differenzierten Betrachtung der Singatmung erscheint auch die Schlussfolgerung von Froeschels (1920) aus eigenen Untersuchungsergebnissen nicht abwegig, dass es keinen Typus der Atmung gäbe, der einen besonderen Vorteil für den Sänger bedeute.»
10. Wer mit Luft in der Stimme singt, muss seine Atemtechnik verbessern!
Genauso wichtig wie die richtige Atemtechnik ist ein ausreichender Schliessquotient des Stimmbandes während der Phonation. Das heisst, wenn jemand einen schlechten Stimmbandschluss hat und ständig viel Luft verliert, dem hilft auch eine stupende Atemtechnik nicht viel weiter. Ist das «Tor» offen, versuchen die Lungen sofort den Druck auszugleichen und die Luft strömt nach aussen, man ist schnell «ausser Atem», ob man nun will oder nicht.
Dr. Scott McCoy (2014):
«Breath pressure cannot be regulated solely by the breathing mechanism; it also requires resistance provided by the larynx. The vocal tract, both through resonance and resistance to airflow, is also vital, assisting in glottal closure and potentially lowering total airflow to increase glottal efficiency.»
Am Stimmbandschluss zu arbeiten ist für mich als Gesangslehrerin mein tägliches Brot. Der Teenager, welcher zu mir in die Stunde kommt mit einer effizienten und resonanten Kopfstimme, ist mir noch kaum begegnet. Auch erwachsene Sänger und Sängerinnen die mit Unterricht beginnen, singen oft mit zu viel Luft in der Kopfstimme. Die Anweisung an die Sänger und Sängerinnen, sie mögen doch einfach besser stützen, führt da wenig bis gar nicht zum Erfolg. Anstatt immer über den Atem zu arbeiten, kann man auch über die Stimme selber wirken.
Wir können lernen, das Zwerchfell zu kontrollieren, obwohl uns das Zwerchfell nicht rückmelden kann, ob wir es aktiviert haben oder nicht. Warum sollte es da nicht möglich sein, den Stimmbandschluss der Stimmbänder direkt zu beeinflussen?
Als erfolgreich erwiesen haben sich in meinem Unterricht:
- Alle „semi-ocluded vocal exercices“ (Übungen mit dem Strohhalm, Bubbel, RRR, Ng, N, M Stimmhaftes V, S….). Der Luftstrom wird dabei automatisch reduziert. Stütze wird trainiert, aber mit Übungen an der Stimme und mit konkreten Anweisungen
- Bewusstmachen, dass man luftig balanciert und gepresst singen kann (vormachen, nachmachen)
- Synchronised Vocal Onset (Arbeit am Vokalansatz. Wenn der Vokal luftig ist, wird auch das ganze Wort überluftet sein.)
- Sicherstellen, dass der Kehlkopf weder zu hoch noch zu tief geht
- Arbeit mit dem Spektrogramm. Visuelle Rückmeldung über Töne, die mit Luft gesungen werden und Töne, die mehr Obertöne haben
- Sicherstellen, dass Tonsprünge nicht gemeistert werden, in dem man ein „h“ vor den zu singenden Laut setzt
- Ausatmen und dann eine Phrase singen lassen. In einem zweiten Schritt normal Einatmen, aber mit dem Gefühl, als würde man singen, nach dem man ausgeatmet hat
- Spontane Lautäusserungen wie Jubeln, Lachen integrieren und ausbauen
11. Sänger und Sängerinnen popularer Gesangstechniken vernachlässigen die Atemtechnik oder anders herum: Klassiker pochen unnötigerweise auf der Atemtechnik herum.
Zuerst kann muss man sich vielleicht fragen, wie sich die Atmung beim Singen von der Atmung beim Sprechen unterscheidet. Hören wir, was Stimmwissenschaftler dazu sagen.
Titze: «The singer or speaker is required to inhale at irregular intervals that are musically or linguguistically determined»
Sundberg: «In speech, subglottal pressure is used mainly for loudness control whereas in singing, subglottal pressure must be tailored with regard to both pitch and loudness.»
«Singers, on the other hand, use a much greater lung volume range and, therefore, have to handle much greater variation of elasticity forces. Hence, they need to change subglottal pressure with great skill.»
«Higher subglottal pressures are needed for high pitches than for low pitches.»
Singen unterscheidet sich also vom Sprechen im Wesentlichen durch
- Die Rhythmisierung der gesungenen Phrase
- Die Tonhöhe beim Singen, welche mehr Atemdruck verlangt
- Die Lautstärke, welche im Singen mehr Atemdruck verlangt
- Es wird ein grösseres Lungenvolumen ausgeschöpft
Während des Sprechens müssen wir uns glücklicherweise nicht um unsere Atmung kümmern. Atmen funktioniert vollautomatisch. Je näher unser Gesangsstil beim Sprechen ist, desto weniger wichtig ist es auch, an der Atmung zu arbeiten. Nehmen wir Bob Dylan. Bob Dylan erzählt Geschichten. Seine Phrasen sind kurz und nahe beim Sprechrhythmus. Deswegen kann er auch als Sänger bestehen, ohne eine lange «Atemausbildung» hinter sich zu haben. Ganz anders der klassische Sänger oder die klassische Sängerin. In der Höhe zu singen, braucht schon mal mehr Atem als in der Tiefe zu singen, da die Stimmbänder in der Höhe viel schneller schwingen. Klassische Sängerinnen und Sänger singen unverstärkt. Sie generieren also mehr Lautstärke, dies braucht wiederum mehr Atem. Klassische Sänger und Sängerinnen singen legato! Ihre Phrasen sind viel länger. Klassische Sänger und Sängerinnen brauchen ein ganz anderes Atemmanagement! Innerhalb des populären Gesangs gibt es wiederum Unterschiede. Ein «I Will Always Love You» von Whitney Houston erfordert eine andere Atemkontrolle, als «Love Is All Around» von “Wet Wet Wet”. Ein weiterer Unterschied ist auch, ob man bei popularen Stilen zwischen den Registern hin und her wechselt oder nicht. Beim “Belting» braucht man einen höheren Atemdruck, als wenn wir über den ganzen Umfang «on the level of speach» singen und schön zwischen den Registern hin und her wechseln.
Schlusswort
Ich möchte diesen Artikel mit einem Abschnitt von Dr. Scott McCoy, den ich in einer Ausgabe des «Journal Of Voice» gefunden habe, abschliessen.
«Wir wurden dazu angewiesen, in unsere Zehenspitzen zu atmen, in den Beckenboden, den unteren Bauch, den Solar Plexus, den unteren Rücken, die hinteren Rippen, den Oberbauch, den Magen, die Brust, und natürlich an die tiefste Stelle unserer Lungen, (den mag ich besonders – das nächste Mal, wenn du einen Ballon aufbläst, fülle ihn von unten her auf). Wir bewältigen die Atmung indem wir den Unterbauch entspannen und ihn nach aussen drücken, indem wir den Unterbauch anspannen und ihn nach innen drücken, indem wir den grösstmöglichen Atem holen, den kleinstmöglichen Atem, indem wir die Brust heben, die Brust entspannen, den Rücken öffnen, die Schultern öffnen, an einer Rose schnüffeln oder in dem wir gar nichts von alldem machen.
Du bist am Leben, das heisst du weißt, wie man atmet!»
So funktioniert die Atmung
Der Brustraum und der Bauchraum werden vom grössten Muskel im Körper getrennt, dem Zwerchfell. Das Zwerchfell ist eine dünne, kuppelförmige Schicht aus Muskelfasern, welche in einer zentralen Sehnenplatte münden. Es gewinnt seine Form durch die Stellen an denen das Zwerchfell haftet und durch die Organe, die es umgeben (Herz, Lunge und Leber).
Das Zwerchfell ist am Rippenbogen entlang des unteren Brustkorbs, vorne am Brustbein und tief im Rücken, entlang der Wirbelsäule befestigt. Obwohl das Zwerchfell bis unten am Rücken befestigt ist, findet die Aktion des Zwerchfells weit oben im Körper statt.
Bei der Einatmung kontrahiert das Zwerchfell und es flacht ab. Durch diesen Vorgang wird der Brustraum vergrößert. Mit der Vergrösserung des Brustraums, dehnen sich auch die Lungen aus, die Anzahl der Luftmoleküle bleibt sich aber gleich. Mit anderen Worten: Der Luftdruck außerhalb der Lunge ist jetzt größer als der Luftdruck in der Lunge und es entsteht ein Unterdruck. Sobald die Stimmlippen geöffnet sind, strömt Luft in die Lunge, um den Druck auszugleichen. Beim Ausatmen entspannt sich das elastische Zwerchfell und geht automatisch wieder in die Ausgangsposition zurück, ähnlich wie bei einem Trampolin.
Die Abwärtsbewegung des Zwerchfells verdrängt die Organe im Bauchraum bei der Einatmung nach unten und nach aussen. Bei der Aufwärtsbewegung des Zwerchfells bewegen sie sich wieder nach innen. Könnte sich das Zwerchfell bis auf Bauchnabelhöhe senken, müssten die Menschen riesige Bäuche haben, weil die ganzen Eingeweide bis zum Bauchnabel nach aussen verdrängen werden müssten!
Folgender Film zeigt sehr schön, wie sich das Zwerchfell hebt und senkt!
Auf diesem Bild sehen wir noch einmal die Lage des Zwerchfells im Körper. Es ist bis tief unten im Rücken befestigt. Die Bewegung des Zwerchfells findet aber weit oben im Körper statt. Das Zwerchfell ist rot dargestellt.

Um die Lage des Zwerchfells zu lokalisieren, kann man sein Brustbein ertasten. Das ist der Punkt, von wo sich das Zwerchfell nach oben in den Brustkasten wölbt. Wenn das Zwerchfell flacher wird, befindet sich der tiefste Punkt auf der Höhe des Brustbeins!
Das Ende des Brustbeins ist gut zu ertasten. Es befindet sich dort, wo die Rippen auseinander gehen. Das Zwerchfell hat dort seinen Ansatzpunkt.

Quellen:
-Bergauer, U.G., Janknecht, S., Logopädische Diagnostik, Behandlungsvorschläge und Übungsmaterialien, 2011, XII, 298 S. ISBN: 978-3-642-10530-2
-Böhme G., Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen, Bd.1: Klinik, Urban & Fischer 2003
-Deirdre Michael: Dispelling Vocal –Myths. Part 1: “Sing From Your Diaphragm!” Journal of Singing, May/June 2010 Volume 66, No. 5, pp. 547–551
-Hein M., Die Gesangtechnik des Beltings – eine Studie über Atemdruck, Lungenvolumen und Atembewegungen, Dissertation, Hamburg 2010
-Leanderson, R./ Sundberg, J. and von. Euler, Effect of diaphragm activity on phonation during singing. C. journal: STL-QPSR volume: 25 number: 4 year: 1984
– McCoy Scott, Voice Pedagogy: On Breathing and Support, Journal of Singing, 2014 January-February (volume: 70 issue: 3 start page: 321)
-Sundberg J., Breathing behaviour during singing: C. journal: STL-QPSR volume: 33 number: 1 year: 1992
-Sundberg J.,Breathing behaviour during singing: Journal of Singing, January/February 1993 (volume: 49 issue: 3 start page: 4
-Titze I., Principles of Voice Production. Reprinted by the National Center for Voice and Speech, Denver, CO 80204 (2000).
-Wendler, J., Seidner W.: Lehrbuch der Phoniatrie. VEB Georg Thieme, Leipzig 1987
-Wirth, G., Lehrbuch für Ärzte, Logopäden, Sprachheilpädagogen und Sprecherzieher, 4. Auflage, Deutscher Ärzte Verlag Köln 1995
-Wirth, Günther/Nawka T. Stimmstörungen, für Ärzte, Logopäden, Sprachheilpädagogen und Sprecherzieher, 5. Auflage, Deutscher Ärzte Verlag Köln 2008
–https://www.youtube.com/watch?v=hp-gCvW8PRY
–https://www.lecturio.de/magazin/atmung-atemmuskulatur/-https://flexikon.doccheck.com/de/Zwerchfell
– Weiterbildungsangebot des Westminster Choir College, Prinston New Jersey, mit Dr. Scott McCoy als Referenten (Webinar): „Voice anatomy“
Liebe Taja,
einen sehr informativen und wirklich sehr lesenswerten Artikel und Blog hast du da ins Leben gerufen. Eine Wonne für jede Sängerin, jeden Musiker und alle Musikfreunde! 🙂
Die richtige Atemtechnik ist in jedem Falle das A & O – die physiologischen Bezeichnungen sowie Erklärungen einfach top.
Lieben Dank dir & alles erdenklich Gute!
Ganz herzlichen Dank für den lieben Kommentar!
Salut Taja, interessanter Artikel. Danke. An zwei Stellen war ich jedoch verunsichert.
1. Dr. Scott McCoy machte in seiner Vorlesung auf eine Studie aufmerksam (die er selber durchführte) bei der er feststellte, dass Frauen eher die «pear- shape-down» und Männer eher die «pear-shape-up» Methode bevorzugen würden.
Wäre es nicht eher umgekehrt, Frauen pear shape up und Männer down?
2. Zudem fände man Sänger und Sängerinnen bei denen die abdominale Atmung bei aufsteigenden und die kostale Atmung bei ansteigenden Tonfolgen dominiere.
Aufsteigende und ansteigende Atmung, ist das nicht dasselbe? Meintest du ev. absteigende und ansteigende Atmung oder sogar umgekehrt?
mit freundlichen Grüssen,
Carol Meyer
Liebe Carol
Danke für deine Fragen. Dr. Scott meint mit „Pear-shape down“, dass Frauen eher dazu tendieren „in den Bauch“ zu atmen, sprich die abdominale Atmung anzuwenden. Bildlich gesprochen entsteht dann das Bild einer Birne, welche man auf den Tisch stellt. Das Volumen ist unten grösser als oben. Männer bevorzugen die „pear shape up“ Methode, das heisst sie erweitern eher den Brustraum mittels Aktivierung der Zwischenrippenmuskeln. Bildlich gesprochen ist dann das Volumen oben grösser als unten, die Birne steht auf dem Kopf. Zu deiner zweiten Frage. Die Wörter „aufsteigen“ und „absteigen“ beziehen sich auch das Wort „Tonfolge“. Es gibt Sänger:innen bei denen man beobachten kann, dass sie „in den Bauch“ atmen wenn sie in die höhe singen. Wenn sie dann ihre Stimme in tiefere Tonlagen führen, benutzen sie die kostale Atmung, sprich sie erweitern ihren Brustraum, mittels Aktivierung der Zwischenrippenmuskeln.
Mit lieben Grüssen
Taja
Als jemand, der selbst Gesangsunterricht genommen hat, kann ich aus eigener Erfahrung sagen, wie verwirrend es sein kann, mit den unterschiedlichen Ansichten und Ratschlägen zur Atemtechnik konfrontiert zu werden. Dieser Artikel nimmt sich jedoch die Zeit, die häufigsten Mythen zu entlarven und bietet stattdessen klare und fundierte Einblicke in die richtige Atemtechnik für Sängerinnen und Sänger.
LG,
Sandra Zaun