Dieser Artikel bietet eine systematische Anleitung für alle, die gerne daran arbeiten möchten, die Töne besser zu treffen. Musik- oder Gesangsunterrichtende finden hilfreiche Tipps, wie Sie Lernende bei der Verbesserung der Intonation unterstützen können.
Warum stimmen die Töne manchmal nicht?
Grund Nr. 1 mangelnde Stimmtechnik
Grund Nr. 2 mangelnde Hörerfahrung
So kannst du trainieren:
Das Entwickeln der Klangvorstellung
Hilfsmittel: Das Klavier und die App
In 8 Schritten zur perfekten Tonleiter
Schon oft habe ich mich gefragt, was denn eigentlich eine schöne Stimme ausmacht. Gerade in populären Stilistiken ist das Spektrum erlaubter Klangfarben sehr breit. Bei vielen SängerInnen steht heute das Transportieren von Emotionen und Geschichten im Vordergrund. Man kann in das Mikrofon seufzen, schreien, knarren – je authentischer und individueller der Gesang wirkt, desto besser. Man kann den bescheidenen stimmlichen Umfang von einer Oktave haben und trotzdem im Radio Gehör finden, wenn die Musikalität und der Ausdruck stimmen. Entscheidend, ob wir eine gesangliche Darbietung als musikalisch einstufen oder nicht, ist, ob der oder die SängerIn die Töne trifft. Nicht alle Hörenden können immer genau einordnen, warum ihnen zum Beispiel bei einer Vortragsübung eine Sängerin oder ein Sänger nicht gefallen hat. Wenn jemand die Töne nicht trifft, hinterlässt das manchmal ein diffuses Gefühl des Nichtgefallens. Bei Hörern, welche selber gute Ohren haben, führen falsche Töne oft zu Belustigungen. Leider fällt es uns oft einfacher, die falschen Töne bei anderen SängerInnen aufzudecken, als zu hören, wenn unsere eigenen Töne schief sind.
Töne genau zu treffen, ist eine Kunst und braucht einiges an Übung und Hörerfahrung. Da wir alle lieber Lieder hören die „rein“, also richtig gesungen werden, bedient sich die Musikindustrie heute Computerprogrammen wie «Autotune», um im Studio die Tönhöhen zu korrigieren. Es ist heute sogar möglich während eines Konzerts die Töne laufend zu korrigieren. Wir sind also hungrig nach reinen Tönen. Sonst wären wir nicht so übereifrig beim Korrigieren von falsch gesungen Tönen. Besser noch als dem Computer die Arbeit zu übergeben, ist aber immer noch, sein Gehör zu schulen und an seiner «Intonation», wie der fachliche Ausdruck für das „Töne treffen“ heisst, zu arbeiten.
Warum stimmen die Töne manchmal nicht?
„Grund Nr. 1 mangelnde Stimmtechnik“
Es kann auch erfahrenen Sängerinnen und Sängern passieren, dass sie an manchen Stellen in ihrem Lied Töne zu tief singen. Meistens liegt das dann nicht an den Ohren, sondern an der Stimmtechnik. Der klassische Fall ist, dass ein Sänger oder eine Sängerin sich nach oben «schreit». Weil das der Stimme nicht behagt, rutschen die unbequemsten Töne etwas nach unten. Ein weiteres Problem ist oft, dass die Vokale zu unterschiedlich gesungen werden. Ob man selber die Tonhöhe halten kann, wenn man verschiedene Vokale singt, kann man einfach herausfinden. Man singt auf einem Ton die Vokale A, E, I, O U und kontrolliert mit einer App, ob die Tonhöhe gehalten werden kann oder nicht. Oft verleiten die Vokale «U» und «I» zum Steigflug. Bei den Vokalen «O «und «A» werden Töne gerne zu tief gesetzt. Hier helfen die richtige Gesangstechnik und gezielte Übungen für den Vokalausgleich.
Hier ein Beispiel, bei dem ich versucht habe, die Tonhöhe zu halten. Im zweiten Teil des Beispiels verändert sich die Tonhöhe deutlich:
Grund Nr. 2 mangelnde Hörerfahrung
Die Sängerinnen und Sänger, die zu mir in den Unterricht kommen, treffen die Töne dort am besten, wo sie die grösste Hörerfahrung haben. Wenn sie oft Radio hören und Pop Songs singen, oder in ihrer Kindheit ein Instrument erlernten, bewegen sie sich mehr oder weniger sicher in der Dur- und in der Molltonleiter. Wenn ich die SängerInnen aus ihrer Komfortzone hole und sie einen Jazzsong singen lasse, werden die meisten unsicher, weil sie plötzlich Töne singen müssen, denen sie vorher kaum begegnet sind, wie zum Beispiel alle 4-Klang Erweiterungen, chromatische Töne und Töne in Tonleitern, welche sie noch nicht kennen. Aber auch Tonsprünge einer Quarte, Sexte oder Septime sind nicht immer «rein». Hier helfen wieder gezielte Gehörbildungsübungen.
Es gibt aber auch immer wieder Menschen, welche singen möchten, bei denen das Dur- Mollsystem nicht etabliert ist. Ein einfaches Kinderlied wird dann bereits zur Herausforderung. Das hat wohl einerseits mit den persönlichen Voraussetzungen zu tun, andererseits ist es sicher entscheidend, ob in der Kindheit gesungen wurde oder nicht.
Kann ein Sänger oder eine Sängerin die Mühe hat mit den Tönen das «Töne treffen» erlernen? Diese Frage kann ich mit ja beantworten. Wer aber im mittleren Alters ist und Mühe hat mit «Alle meine Entchen» singen, der wird sehr viel Geduld und Übezeit brauchen. Es ist dann ungefähr so, als würde jemand anfangen chinesisch zu lernen. Man kann auch im fortgeschrittenen Alter noch chinesisch lernen. Wahrscheinlich wird man es nicht mehr zum Dolmetscher oder zur Dolmetscherin schaffen. Aber nach viel Übezeit, wird man sich vielleicht doch einmal in chinesisch unterhalten können.
Das Entwickeln der Klangvorstellung
Ob man nun ganz von vorne beginnt, oder ob man bereits sicher Lieder in Dur und Moll singen kann, so oder so lohnt es sich, das Gehör zu schulen, so dass man sich sicher im tonalen System, in dem man sich bewegt, singen und auch mühelos von einem Ton zum anderen springen kann. Um dies zu erreichen, muss man die Tonvorstellung trainieren. Wenn ich mir einen Ton genau vorstellen kann, dann kann ich ihn auch singen.
Kannst du die Augen schliessen und dir «Alle meine Entchen» vorstellen? Die meisten würden das wohl mit ja beantworten. Geht es auch mit «Smoke on the water» von Deep purple? Wenn man gute Ohren hat, kann man seine Töne im Kopf wie auf einem Klavier bedienen.
Aber wie entwickle ich so eine Klaviertastatur in meinem Kopf?
Hilfsmittel: Das Klavier und die App!
Früher haben die GesangslehrerInnen die SchülerInnen ans Klavier geschickt, um ihr Gehör zu schulen. Die SchülerInnen sollten ihre Stimme mit dem Ton des Klaviers angleichen. Dumm nur, wenn der oder die betreffende SchülerIn gar nicht erkennt ob der Ton nun mit dem Klavier übereinstimmt.
Ich arbeite schon seit 10 Jahre mit Computersoftware (Sing and See), auf der man visuell sehen kann, ob man den Ton trifft. Ich erziele damit gute Ergebnisse. Die Software „Sing and See“ hat viele Funktionen, ist aber kostenpflichtig. Wer kein Budget hat, kann sich eine Gratis App herunterladen. Das Üben mit dem Klavier gehört aber für mich immer noch genau so dazu.
Meine Lieblingsapp, die gratis ist, heisst:
Die App ist für mich ein Muss bei allen AnfängerInnen. Bei Fortgeschrittenen kommt sie spätesten dann im Unterricht zum Einsatz, wenn ich in der Lektion mitteile, dass der eben gesungene Ton nicht getroffen war und mich dann der Sänger oder die Sängerin ungläubig anschaut – was ich immer verzeihe, denn wie schon erwähnt, ist es leider einfacher, falsche Töne bei anderen zu hören als bei sich selber. Ich selber nehme immer wieder mal ein Lied mit der App auf und kontrolliere meine eigene Intonation.
Sie ist fürs iPhone und für Android erhältlich. Schreibe mir, wenn du eine andere tolle App entdeckt hast!
In 8 Schritten zur perfekten Tonleiter
Nun ist es Zeit zum Üben. Ich zeige die Übungen anhand der Durtonleiter. Die Durtonleiter ist die erste und wichtigste Leiter, welche alle meine Sängerinnen perfekt beherrschen müssen. Mit den Übungen kannst du auch bestimmte Intervalle üben, mit denen du Mühe hast, wie der Quarte oder der Sexte.
Wer fortgeschritten ist, sucht sich eine andere Kirchentonleiter und macht damit die gleiche Übungsfolge. Wer Jazzsänger oder Jazzsängerin ist, wählt als Skala zum Beispiel die alterierte Skala und tobt sich damit aus. Du findest Zahlenblätter zu verschiedenen Tonleitern am Ende dieses Beitrags.
Bevor du die Übungen machst, rate ich dir, eine Playlist aufs Handy zu laden mit Liedern, die vorwiegend aus Leitern bestehen, welche du gerade übst. Hier sind Songs, welche aus der Durtonleiter bestehen.
Don’t worry be happy (Bobby Mc Ferrin)
Big big world (Emilia).
(Achtung, bei 2:23 findet eine Modulation statt.)
The Scientist (Coldplay)
How long will I love you (Ellie Gouding)
What if (Kate Winslet)
Es gibt natürlich noch viele Songs welche in der Durtonleiter geschrieben sind. Schreibe mir, wenn du einen schönen Dur- Song gefunden hast, damit ich ihn in meine Liste aufnehmen kann. Nun aber zu den Übungen!
Übung 1: Hören der Durtonleiter
Setze dich ans Klavier und spiele alle Töne von C bis C. Dabei folgst du den weissen Tasten. Wer kein Piano hat, kann sich mit einer App behelfen, mit der man sich die Klaviertastatur aufs Handy holt. Ich habe mir «tiny piano» aufs Handy geladen. Die Tonleiter spielt man so lange, bis man sie einigermassen im Ohr hat.
Übung 2: Singen der Dur-Tonleiter mit Zahlen.
Hier kann man mit der App oder mit der Software „Sing and See“ kontrollieren, ob man die Töne trifft. Du brauchst auf jeden Fall ein Piano oder die Piano App, um dir jeweils den Anfangston zu spielen. Wichtig ist, dass man sich für die Übung Zeit nimmt. Besser ich beschäftige mich eine Woche lang mit dem ersten Tonsprung, als dass ich die ganze Leiter in schnellem Tempo singe, ohne mich dabei zu korrigieren. Im ersten Schritt singst du immer die ganze Leiter bis zu dem Ton, den du dir erarbeiten möchtest. Dann versuchst du die ganze Tonleiter zu Singen. Wenn du Mühe hast, kannst du dir einen Liedanfang zur Hilfe nehmen. Wetten du kennst die Melodie von „Alle meine Entchen“? Dann kannst du auch die ersten fünf Töne der Dur Tonleiter singen.
Übung 3: Töne in Bezug zum Grundton und frei von einem melodischen Zusammenhang trainieren
Jeder Ton der Leiter wird ersungen. Erfahrungsgemäss bereiten die Intervalle 1-4, 1-6 und 1-7 mehr Mühe als die Intervalle 1-3, 1-5 und 1-8. Wenn du mit dem Klavier übst, spielst du dir zuerst den Tonsprung und singst ihn dann nach.
Im nächsten Schritt steuerst du die Intervalle an, ohne dass du vorher die Leiter bis zum betreffenden Ton singst.
1 2 1 3 1 4 1 5 1 6 1 7 1 8
8 7 8 6 8 5 8 4 8 3 8 2 8 1
Es kann helfen, sich die Tonsprünge mit Liedintervallen zu merken. Später kann man diese «Krücken» wieder weglassen.
Hier sind einige Liedanfänge:
1-2 „Alle meine Entchen“, „Happy Birthday“
1-3 „Morning has broken“, „Alle Vögel sind schon da“, „Kumbaya Mylord“
1-4 „Eurovisionsmelodie“, „O Tannenbaum“
1-5 „Top Gun Anthem“, „Twinkle Twinkle Little Star“
1-6 „My bonny is over the ocean“
1-7 „Don’t know why“ (Norah Jones)
1-8 „I’m singing in the rain“
Schreibe mir, wenn du noch mehr gute Liederanfänge weisst, welche zu bestimmten Intervallen passen.
Übung 4: Trainieren mit Zahlenreihen.
Du schreibst dir Zahlen in beliebiger Reigenfolge auf und versucht diese zu singen.
Zum Beispiel: 4 8 3 2 5 7 2 8 6 4 3
Zuerst singst du die Reihe und gehst immer wieder auf die 1 zurück.
4 1 8 1 3 1 2 1 5 1 7 1 2 1 8 1 6 1 4 1 3
Später lässt du die 1 dazwischen weg.
4 8 3 2 5 7 2 8 6 4 3
Zahlenblätter kannst du am Ende des Beitrags gratis downloaden
Für meinen Gesangsunterricht habe ich Würfel gekauft. Die SchülerInnen können sich so ihre Reihe selber würfeln. Die Einsen habe ich einfach mit der Sieben überklebt.
Übung 5: Blattlesen von einfachen Liedern.
Es eignen sich Kinderlieder oder Lieder aus der obigen Liste. Schreibe dir Zahlen unter das Lied und sing dann die Zahlen. Natürlich musst du wissen, was die Eins ist. In C Dur ist das C die 1. Wenn du dir nicht sicher bist in den Tonarten, kannst du dir das folgende PDF anschauen und dann die Zahlen auf das Notensystem übertragen.
Übung 6: Singen von einfachen Melodien in Zahlen
Du wählst ein einfaches Lied aus und versuchst dieses direkt mit der richtigen Zahlen zu singen.
Übung 7: Sich frei in der Tonleiter bewegen.
Du erfindest selber Melodien. Während du singst, benennst du den Ton mit der entsprechenden Zahl.
Übung 8: Die Tastatur im Kopf bespielen.
Kannst du Übung 7 im Kopf machen und dir die frei erfundene Melodie nur vorstellen und sie sogar innerlich mit Zahlen benennen?
Wenn du diese Frage mit ja beantworten kannst, dann hast du die Klaviertastatur in deinem Kopf erweitert. Bravo!
Anmerkungen
Wer sich gerne noch mit Umkehrungen, 4-Klangerweiterungen oder chromatischen Tönen beschäftigen möchte, kann mir eine E-Mail schreiben. Ich sende dann meine Arbeit «Gehörbildung im Gesangsunterricht» zu.
Zahlenblätter könnt ihr hier runterladen:
Im Gesangsunterricht können wir dir dich auf dem Weg zu einem guten Gehör persönlich unterstützen.
Credits:
Das Zahlenblattsystem ist nicht meine Erfindung, ich habe es im Vorkurs der „Swiss Jazz School“ in Bern kennen gelernt.
Die Übung 6 habe ich in einem Workshop mit Frank Sikora gemacht, dessen Buch ich wärmsten für alle empfehle, welche in die Jazzimprovisation eintauchen wollen.
Genial hilfreiche, kleinschrittige und klare Anleitung für alle Sängerinnen und Sänger sowie Musikunterrichtende. Vielen lieben Dank, Taja! Das ist großartig! Bin schon sehr auf weitere Blogartikel von dir gespannt… Einstweilen hab ich gut zu üben … Danke für Deine wertvolle und inspirierende Arbeit!
Liebe Sina yeeeah, du hast den ersten Kommentar zu meinem Blog geschrieben 🙂 Ich danke dir ganz ganz herzlich für das positive Feedback!
Danke auch – die Beispiele der Songs helfen (vielleicht auch mir), die Töne, welche ich falsch gespeichert (oder mir noch nie Mühe gegeben habe, genau zu hören) zu überprüfen und neu zu üben. Zwischendurch muss man die Stimmen stimmen.
Lg
Patrik
Hoi Taja, hier noch eine Durtonleiter Übung: Singe 1 2 1 #1 2 (atmen) 2 3 2 #2 3 …etc…. bis 8. Die diatonischen Sufen immer im viertel puls, die chromatischen als achtel. So merkt man sich die Halbtonschritte der Durtonleiter. Als 2 Schritt lernt man es mit absoluten Tonnamen in allen Tonarten. Die Übung ist für eher Vortgeschrittene sehr Hilfreich um sich im diatonischen System zurecht zu finden. Ich kann dir die Übung vorsingen wenn wir uns das nächste Mal sehen.liebe grüsse lisa
Liebe Lisa, ganz herzlichen Dank für deine Ergänzung, welche die chromatischen Töne auch berücksichtigt. Ich schätze den Austausch mit dir sehr 🙂 Mit lieben Grüssen Taja